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Igel Florian entdeckt den Frühling

Irgendwas hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. Langsam streckte er sich und öffnete erst das linke, dann das rechte Auge. Alles schien in Ordnung. Er lag noch immer in dem ausgehöhlten Baumstamm, in dem er vor vier Monaten sein Nest gebaut hatte.


Florian war ein kleiner Igel, der gerade aus seinem ersten Winterschlaf erwachte. Er lauschte, weil er wissen wollte, was ihn geweckt hatte, und hörte seltsame Geräusche. Ein fröhliches Piepsen und wildes Geraschel. Vorsichtig kroch er nach draußen und sah sich um. Er erinnerte sich, wie es hier ausgesehen hatte, als er in seine Höhle gekrochen war. Der Wald hatte trostlos gewirkt, grau und kalt, und überall hatte dieses komische weiße Zeug auf dem Boden gelegen. Jetzt leuchtete alles in bunten Farben und es war angenehm warm.


Der kleine Igel trottete gemütlich los. Weiches Moos kitzelte seine Füßchen. Bunte Tierchen schwirrten aufgeregt um seinen Kopf. Irritiert blieb er stehen und versuchte, mit seinen Blicken dem wilden Treiben zu folgen.


„Ist das dein erster Frühling?“, hörte er plötzlich eine Stimme direkt über sich. Er sah nach oben und erblickte ein seltsames Geschöpf, das auf einem Ast saß und ihn mit großen Augen anschaute.


„Wer bist du? Was bist du? Und was ist ein Frühling?“, fragte Florian ängstlich.


„Ich bin eine Eule und mein Name ist Luna. Wie ist dein Name?“


„Florian. Ich bin ein Igel.“


„Das sehe ich. Du brauchst keine Angst vor mir zu haben. Ich bin ebenso wie du ein Bewohner dieses Waldes.“


„Du kennst dich hier aus?“


„Natürlich, ich lebe hier.“


„Wieso sieht hier alles so anders aus? Als ich mich in mein Nest gelegt hatte, waren die Bäume kahl und es waren nur wenige andere Tiere zu sehen. Jetzt ist hier alles grün und laut und irgendwie seltsam.“


„Das, mein junger Freund, ist der Frühling“, erklärte die Eule. Folge mir. Ich zeige dir, warum diese Jahreszeit die schönste ist.“ Die Waldohreule, denn um eine solche handelte es sich bei Luna, flog geräuschlos knapp über dem Boden und setzte sich ein Stück weiter auf einen niedrigen Ast. „Komm hier herüber“, rief sie Florian zu.


Wissbegierig näherte sich ihr neuer stacheliger Freund und sie zeigte mit einem Flügel nach unten. „Im Frühling erwacht die Natur rund um uns herum. Den Anfang machen die Schneeglöckchen und die kleinen Veilchen. Ihr süßer Duft zieht Schmetterlinge und Bienen an, die sich vom Nektar ernähren.“


Florian tippelte mit seinen kurzen Beinen aufgeregt zwischen den weißen und violetten Blüten. Da sah er, wie ein braunes, pelziges Tier mit einem buschigem Schwanz einen Baum hinauflief. „Ui, der ist aber flink“, rief er.


„Das ist ein Eichhörnchen“, erklärte Luna. „Es huscht geschickt von Stamm zu Stamm und von Ast zu Ast, auf der Suche nach frischen Knospen.“


„Was sind denn Knospen?“


Die Eule lachte und zeigte nach oben. „Das sind die kleinen Dinger an den Ästen. Aus ihnen wachsen andere Zweige, Blätter oder sogar wunderschöne Blüten.“


Da bemerkte Florian, wie etwas raschelnd an ihm vorbeiflitzte. Er erschrak und rollte sich blitzschnell zu einer Kugel zusammen. Vorsichtig streckte er seinen Kopf wieder hinaus. Vor ihm saß ein kleines Wesen mit einem langen Körper und sah ihn an. „Huch, da habe ich mich beinahe an deinen Stacheln verletzt. Was bist du denn für einer?“


„Ich bin Florian, ich bin ein Igel.“


„Dachte ich es mir doch. Mann, ist hier was los im Wald. Ich bin übrigens Zorro und ich bin eine Waldeidechse. Bist du neu hier?“


„Ja, das ist mein erster Frühling. Das ist alles ziemlich aufregend für mich.“


„Dann warte mal ab, bis die größeren Bewohner hier auftauchen. Da musst du aufpassen, dass die nicht auf dich drauftreten.“


„Oh, meinst du den da hinten?“


Zorro schaute sich um und sah, wie ein Tier mit langen Ohren zwischen den Bäumen verschwand. „Nein, den doch nicht. Das war nur ein Waldhase. Der sucht im dichten Unterholz nach einem Platz, wo er seine Jungen aufziehen kann.“


„Willst du mal die wirklich großen sehen?“ Luna schwebte zu ihm herüber. „Dann komm mal mit.“


Florian folgte ihr bis zu einer kleinen Lichtung. Auf ihr standen sich zwei riesige, kräftige Tiere gegenüber.


„Das sind Hirsche. Sie bereiten sich auf die Brunftzeit vor, indem sie ihre Kraft und ihr imposantes Geweih zur Schau stellen. Sie wollen damit Weibchen anlocken und Rivalen abschrecken.“


„Oh, die sind mir dann doch zu groß. Ich gehe lieber wieder zurück in den Wald“, antwortete Florian. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es nicht nur vieles zu sehen, sondern auch zu hören gab. Die Vögel waren von ihren Winterquartieren zurückgekehrt und trillerten vergnüglich. So, als wollten sie der ganzen Welt erzählen, dass sie wieder da waren.


Florian sah die Eule mit großen Augen an. „Dieser Frühling. Ist der immer da, wenn man aus dem Winterschlaf aufwacht?“


„Oh ja, lieber kleiner Igel. In den nächsten Tagen und Wochen wird es hier sogar noch viel bunter. Die Bienen schwärmen aus, um Nektar und Pollen zu sammeln. Die Bäume nehmen das immer stärker werdende Sonnenlicht auf und saugen Wasser aus dem Boden. Dann atmen sie ein Gas aus der Umgebung ein und wandeln all das in Energie um. Damit erzeugen die Pflanzen ihre Nahrung. Nebenbei entsteht Sauerstoff – das ist die frische Luft, die wir zum Atmen brauchen!


Florian hatte gesehen, wie sich der Wald verändert hatte und alles wieder zum Leben erwacht war. Er hatte gelernt, dass der Frühling eine ganz besondere Zeit war. Voller neuer Farben, Düfte und Abenteuer. Am Ende eines aufregenden Tages genoss er noch einmal kurz die Aussicht auf die blühende Natur und kehrte dann in sein Nest zurück. Er freute sich auf den nächsten Morgen und war gespannt, was er noch alles entdecken würde.



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Ritter Rüdiger

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