Wir leben seit genau fünfundzwanzig Wochen auf unserem neuen Heimatplaneten. Man hatte uns nicht Zuviel versprochen. Hier sah es tatsächlich genauso aus wie auf der Erde. So, wie man es von Bildern und Filmen kannte, bevor die klimatischen Veränderungen für verheerende Katastrophen gesorgt hatten. Es gab Berge mit schneebedeckten Gipfeln, Wälder, Wiesen, Flüsse und Seen. Man hatte im Vorfeld nach Signaturen von intelligentem Leben gesucht, aber keine entdecken können. Konflikte mit Ureinwohnern waren demnach nicht zu erwarten.
Wir waren zehntausend Kolonisten, die die lange Reise auf sich genommen hatten. Zehntausend Männer und Frauen, die den Anfang machten. In zwei Monaten kommt das nächste Schiff mit weiteren Frauen, Kindern und Männern.
Ich kann mich genau an den Tag unserer Ankunft erinnern. Die Landung war hart, aber das hatte man uns vorher erklärt. Dies war ein One-Way-Ticket und das Schiff war nicht für ein sanftes Aufsetzen gebaut. Es sollte lediglich auf einer großen, weiten Fläche heruntergehen und dabei einigermaßen unbeschadet bleiben. Nur wenige Stunden vorher waren wir aus unserem Kälteschlaf erwacht. Ich blieb noch eine Weile liegen, bis mein Kreislauf in Schwung kam, und kletterte mit wackligen Beinen aus meinem Tank. Um mich herum sah ich unzählige andere Kolonisten in ihren hautengen Cryo-Suits aus thermoregulierendem Material.
Als sich die riesigen Schleusentore öffneten, strömte der Duft von sauberer Luft herein. Eine lange schräge Rampe führte hinunter zum Boden. Ich betrat vorsichtig das satte, grüne Gras. Die Halme kitzelten meine nackten Füße und ich bückte mich, um auch meine Hände dieses unbeschreibliche Gefühl erfahren zu lassen. Andere taten es mir nach. Manche rannten voller Lebensfreude auf den Waldrand zu, der einige hundert Meter entfernt war. Ich streckte meinen Körper und atmete tief ein. Hier draußen war die Luft so sauber, dass ich es regelrecht fühlen konnte, wie die Lungen den Sauerstoff aufnahmen.
Die Sonne erwärmte meine Haut. Es fühlte sich seltsam an, aber dieses Gefühl war äußerst angenehm. Mit meinen Händen strich ich über meine Arme, meinen Bauch und meine Beine. Wir waren wie übermütige Kinder, voller Lebensfreude erkundeten wir unsere neue Heimat. Vom Waldrand kamen aufgeregte Rufe. Ich lief hin und erfuhr, dass hinter dem schmalen Waldstreifen ein breiter Fluss strömte. Als ich dort ankam, sprang ich ungestüm hinein zu den anderen, die bereits das kühle saubere Wasser genossen.
So verging unser erster Tag auf diesem herrlichen Planeten.
Am zweiten Tag begann die Arbeit. Biologen untersuchten die Pflanzen und analysierten, welche davon essbar waren. Chemiker nahmen Proben von der Luft und vom Wasser und Geologen prüften, wo die besten Stellen für die Habitate waren. Vom Fluss wurde Wasser in Vorratstanks gepumpt. Solarmodule und Windräder wurden zur Energieerzeugung aufgebaut. Jeder von uns war ein Spezialist auf einem Fachgebiet. Als Bauingenieur half ich mit, die Behausungen aus vorgefertigten Bauteilen zu errichten. Unsere kleine Siedlung nahm Gestalt an.
Am vierten Tag bekamen die Mediziner unerwartet viele Patienten. Bisher waren es lediglich Arbeitsunfälle, die versorgt werden mussten. Plötzlich meldeten sich über einhundert Siedler mit Atemnot. Am nächsten Tag waren es schon mehr als eintausend Erkrankte mit den gleichen Symptomen. Die Ursache wurde schnell gefunden. Gegen Pollen, die von einer wunderschönen blauen Blume am Flussufer stammten, waren unsere Immunsysteme machtlos. Die von der Erde mitgebrachten Antihistamine zeigten keine Wirkung. Am Ende der ersten Woche hatten wir 862 Menschen verloren, sie waren qualvoll erstickt. Aus dem provisorisch angelegten Friedhof am Waldrand wurde ein Massengrab.
Nach zwei Wochen regnete es so heftig, dass es aussah, als hätten wir unsere Siedlung in einem See erbaut. Die Arbeiten mussten für drei Tage unterbrochen werden. Als die Sonne wieder kam, kamen auch die Insekten. Sie fielen über uns her und brachten unbekannte Krankheitserreger mit. Manche von uns blieben verschont, andere waren mit Stichen übersät. Mehr als fünfhundert Frauen und Männer starben noch am selben Tag an einem anaphylaktischen Schock. In den kommenden Tagen erkrankten über sechstausend Menschen und bekamen hohes Fieber. Die wenigen Ärzte, die nicht selber betroffen waren, konnten nur die Leiden mindern. Von den Patienten überlebte nur eine Handvoll.
Wir waren erst vor vier Wochen hier gelandet und hatten schon drei Viertel der Kolonisten verloren. Hoffnungslosigkeit machte sich breit. Die Aufbauarbeiten gingen nur noch schleppend voran. Viele weigerten sich, weiterzuarbeiten. Manche begingen Selbstmord, weil sie die Ausweglosigkeit nicht mehr ertrugen. Die Energieversorgung wurde immer wieder unterbrochen, da wichtige Arbeiten nicht erledigt wurden. Die UV-Bestrahlung in den Wassertanks war nicht mehr durchgehend gewährleistet, wodurch die Zerstörung der Bakterien- und Viren-DNA nicht mehr funktionierte. Wegen der Verseuchung des Trinkwassers verloren wir weitere 2.000 Menschen.
Ich bin einer von 683 Überlebenden. Unser Immunsystem hat sich angepasst. Wir wissen jetzt, welche Pflanzen essbar und welche giftig sind. Unsere Nahrung ist vielfältiger geworden, nachdem wir kleine Nagetiere entdeckt haben. Unsere Chemiker und Mediziner konnten mit den Laboren im Schiff neue Medikamente entwickeln. Inzwischen haben sich Paare gefunden und wir haben die ersten Schwangerschaften gefeiert.
Wir hatten uns von der Schönheit unserer neuen Heimat blenden lassen und die Gefahren nicht sehen wollen. Der Lernprozess war schmerzhaft und hat vielen von uns das Leben gekostet. Darauf hatte uns niemand vorbereitet. Für die neuen Kolonisten, die bald hier ankommen werden, haben wir den Weg bereitet. Sie werden es einfacher haben als wir. Wir sind davon überzeugt, den Fortbestand unserer Spezies sichern zu können.
Diese Welt ist wunderschön. Sie wird unsere zweite Erde sein.
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