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Der Traum

  • helmut-schreibt
  • 21. Nov.
  • 3 Min. Lesezeit

»Nein!«, rief sie voller Panik und setzte sich ruckartig im Bett auf. Das Oberteil des Pyjamas klebte an ihrer schweißnassen Haut. Ihre kurz geschnittenen blonden Haare sahen aus, als käme sie gerade aus der Dusche.

»Hattest du wieder diesen schrecklichen Albtraum?«, fragte ich mitfühlend.

Sie zitterte am ganzen Körper und weinte. »Ja, und er scheint von Nacht zu Nacht realer zu werden.«

 

Alles hatte vor etwa vier Wochen begonnen. Als ich an diesem Samstagmorgen wach wurde, saß meine Frau im Bett und atmete schwer. Zunächst wollte sie mir nicht sagen, was mit ihr los war, aber als dieser Traum sich zum vierten Mal wiederholte, erzählte sie mir davon. »Es fängt immer an den Füßen an. Da ist dieses seltsame Gefühl, als würde da ein Tier drauf sitzen. Dann wandert es langsam höher, bis ich den Druck auf meiner Brust spüre. Ich sehe einen Nebel, der sich immer weiter verdichtet und dann erkenne ich es. Ein Wesen mit einer hässlichen Fratze grinst mich an, hebt überdimensional große Hände und legt sie mir auf den Mund. Ich will schreien, aber es geht nicht. Ich

bekomme keine Luft und ich habe Angst, zu ersticken. Dann schlägt es mir ins Gesicht und ich werde wach.«

»Das ist ja grausam. Du hast diesen Traum jede Nacht?«

»Ja, seit ein paar Tagen. Immer den Gleichen. Ich traue mich kaum noch, einzuschlafen.«

 

Als der Traum auch nach einer Woche nicht verschwand, konsultierten wir ihren Arzt. Um einen Termin mussten wir uns nicht kümmern, das ist in unseren Kreisen nicht erforderlich, da meine Frau die Tochter eines der reichsten Unternehmer des Landes ist. Es wurden zahlreiche Untersuchungen durchgeführt, ihr Blut im Labor auf ungewöhnliche Werte getestet. Nichts brachte irgendeinen Hinweis, was diese Albträume

auslöste.

»Physisch sind Sie in einem guten Zustand, mal abgesehen von Ihrer momentanen Schwäche durch den Schlafmangel. Ich sehe, Sie haben eine dieser modernen Smartwatches«, stellte der Arzt während des Gesprächs fest. »Haben Sie sich mal die Schlafauswertung angeschaut?«

»Ja, haben wir«, antwortete ich. »Diese Träume scheinen sehr reale Auswirkungen zu haben. Jede Nacht zwischen vier und fünf Uhr steigt der Puls meiner Frau rasant an. Gleichzeitig erfasst die Uhr, dass die Sauerstoffsättigung auf Besorgnis erregende Werte sinkt.«

»Ich verschreibe Ihnen zunächst ein leichtes Schlafmittel. Das sollte die Träume unterdrücken.« Er reichte meiner Frau ein Rezept in die Hand. »Sie sollten auf jeden Fall die Schafanalyse weiter beobachten.«

 

Die folgenden Nächte wurden eher schlimmer als besser. Der Traum kam immer wieder, pünktlich zur selben Zeit. Die Daten der Uhr zeigten, dass die Phasen des beschleunigten Pulses länger und die Sättigung geringer wurde. Nach dem Aufwachen konnte sie nicht mehr einschlafen, zu real war dieser grausame Albtraum. Abends kam die Angst dazu. Sie lag stundenlang wach, bevor sie in einen unruhigen Schlaf fiel, der

nach wenigen Stunden jäh unterbrochen wurde. Aus der lebenslustigen jungen Frau war in den letzten Wochen ein schlotterndes und blasses Gespenst geworden. Die Arbeit im elterlichen Betrieb konnte sie nicht mehr ausüben. Die Fachärzte und Psychotherapeuten, die wir mittlerweile besuchten, wussten nicht weiter. Sie warnten davor, dass eine lang anhaltende psychische Belastung und Schlafmangel irgendwann

zu Herzproblemen führen kann.

 

Ich sitze im Bett und beobachte, wie meine Frau anfängt zu zittern. Auf den Schlag ins Gesicht werde ich diese Nacht verzichten. Ich nehme die Hantelscheibe von ihrer Brust und drücke das Kissen weiter auf ihren Mund. Der Arzt wird einen Herzinfarkt feststellen.

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Helmut Jakob

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Letzte Aktualisierung: November 2025

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