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Zeitdiebe

helmut-schreibt

Aktualisiert: 21. Jan.

„Wie heißt der Autor? Cameron Miller?“

„Nein, Müller, nicht Miller. Er ist Deutscher.“

„Das kann doch nur ein Pseudonym sein. Wer nennt denn sein Kind Cameron?“

„Ist ja jetzt auch egal.“ Kommissar Maurice Winterscheidt unterbrach die unsinnige Diskussion. „Fakt ist, dass es bereits drei Einbrüche in Buchhandlungen in drei aufeinanderfolgenden Nächten gab.“

„Und alle hier in Aachen“, ergänzte sein Kollege Walter Mertens.

„Gestohlen wurde immer das Gleiche: Bücher von diesem Müller. Alle Bücher. Der komplette Bestand. Nichts anderes. Kein Geld, keine Geräte wie Computer oder so. Nur Bücher.“

„Wobei es ja bisher nur ein einziges Buch von ihm gibt und das heißt ‚Zeitdiebe‘.“

Der Kommissar lächelte. „Das passt wie die Faust aufs Auge. Diebe stehlen sein Buch und halten die Zeit an, zumindest für eine Stunde und elf Minuten. Immer exakt für die Zeit von 01:23 Uhr bis 02:34 Uhr gibt es keine Videoaufzeichnungen.“

„Das hat schon was Geheimnisvolles, oder?“

„Ja, und deswegen fahren wir jetzt zu den Buchhandlungen und schauen uns die Tatorte mal genauer an.“

 

Der Inhaber von Buchpalast Pfeffer empfing sie in seinem Büro. An das gleichnamige Gewürz wurde man bei seinem Anblick definitiv nicht erinnert. Er war schmächtig, hatte einen zu großen Anzug an und eine Hornbrille auf der Nase, die fast sein gesamtes blasses Gesicht verdeckte. Er saß in einem wuchtigen Sessel, der den Eindruck einer unsicheren Person noch verstärkte.

„Bei Ihnen wurde eingebrochen.“ Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Herr Pfeffer hatte den Diebstahl schließlich ordnungsgemäß bei der Polizei angezeigt.

„Ja, vor drei Nächten.“

„Nach Ihren Angaben wurden lediglich ein paar Bücher gestohlen.“

Pfeffer sank tiefer in seinen Sessel. „Ja, hätte ich das deswegen nicht melden sollen?“

„Entschuldigung, so war das nicht gemeint.“ Winterscheidt nahm etwas die Schärfe aus seinen Worten. Das war schließlich kein Verhör, sondern die Befragung eines Geschädigten. „Es waren alles Bücher von diesem Cameron Müller, richtig?“

„Ja, aber eigentlich ist es diesen ganzen Aufwand gar nicht wert. Wenn ich ehrlich bin, ist es egal, ob dieser Schund da ist oder nicht. Die Bücher sind absolute Ladenhüter, die lassen sich so gut verkaufen wie schimmeliges Brot. Deswegen hatte der Autor die Lesung geplant. Am Morgen nach dem Einbruch sollte das stattfinden. Tja, das musste dann leider ausfallen.“

„Wo waren die Bücher zum Tatzeitpunkt?“

„Die hatten wir alle in unserer Sitzecke auf einem kleinen Tisch gestapelt, da wo die Veranstaltung vorgesehen war. Wobei, der Begriff ‚alle‘ ist etwas hochtrabend. Wir hatten hier nur zwanzig Exemplare.“

„Der Schaden ist also überschaubar?“

„Auf jeden Fall. Schäden durch den Einbruch gab es nicht. Es ist fast so, als hätten die Diebe einen Schlüssel gehabt. Sonst fehlte nichts, weder Wechselgeld aus den Kassen noch andere Bücher. Unterm Strich haben wir durch den Bericht in der Tageszeitung sogar noch kostenlose Werbung bekommen. Da gibt es aber noch die merkwürdige Geschichte mit der Videoüberwachung. Alle Kameras haben exakt für eine Stunde und elf Minuten nichts aufgezeichnet. Genau von 01:23 Uhr bis 02:34 Uhr. Ist das nicht unheimlich?“

„Vielleicht für einen Esoteriker, für uns ist das Zufall.“

Mertens schaute seinen Vorgesetzten nachdenklich von der Seite an. Zufall wäre es, wenn es einmal passiert wäre. Aber dreimal? In drei aufeinander folgenden Nächten?

„Wer hat den Einbruch entdeckt?“, fuhr Winterscheidt fort.

„Das war Herr Müller. Er kam morgens kurz nach Ladenöffnung und wollte sich vorbereiten. Da bemerkte er, dass all seine Bücher verschwunden waren. Zuerst dachte ich an einen blöden Scherz einer unserer Mitarbeiterinnen, aber ich war am Abend vorher der Letzte im Laden und habe hinter mir abgesperrt.“

„Okay, das war’s erst mal von unserer Seite. Vielen Dank für Ihre Hilfe.“

„Warten Sie. Da ist noch was. Eine Mitarbeiterin mit eher anspruchslosem Lesegeschmack hatte sich ein Exemplar ausgeliehen. Das liegt im Pausenraum und wurde vom Einbrecher wohl übersehen.“

„Können wir das Buch haben?“

„Klar, ich kann es Ihnen schnell holen.“ Herr Pfeffer verließ das Büro und kam wenige Minuten später mit einem Taschenbuch in der Hand zurück. „Bitte sehr. Macht zwölf Euro.“

Winterscheidt schaute ihn irritiert an und wollte gerade groß und breit erklären, dass es sich eventuell um ein Beweisstück handeln könnte.

„War ein Scherz. Nehmen Sie es einfach mit. Es kauft eh keiner.“

 

Die Polizeibeamten fuhren zu den beiden anderen Buchhändlern, die einen Einbruch gemeldet hatten. Hier hörten sie exakt die gleiche Geschichte: ein unverkäufliches Buch, eine geplante Lesung, ein totaler Kameraausfall und zum Schluss den Raub aller Bücher von Cameron Müller. Auch hier war es jeweils der Autor selbst, der den Diebstahl entdeckt hatte.

 „Oh Mann, was für ein Irrsinn. Da riskieren Deppen einige Jahre Knast, nur um Bücher im Wert von ein paar hundert Euro zu klauen. Die Kassen waren unberührt und es fehlte sonst absolut nichts.“ Kommissar Winterscheidt suchte verzweifelt nach dem Motiv der Täter.

„Die müssen es auf diese Bücher abgesehen haben. Nur auf die Bücher. Alles andere würde keinen Sinn ergeben. Außerdem wussten die oder der Täter anscheinend, dass sämtliche Exemplare in diesen Nächten jeweils an einer Stelle waren. Das hat die ganze Sache erleichtert. Da müssen Insider am Werk gewesen sein.“

Winterscheidt drehte das Buch in seinen Händen. Das Cover war durchaus ansprechend gestaltet. Auch der Klappentext auf der Rückseite machte neugierig auf den Inhalt.

„Wir müssen herausfinden, ob dieses Werk auch in anderen Läden verkauft wird. Gibt es eventuell weitere Lesungen in den nächsten Tagen?“

„Ich kümmere mich darum.“ Mertens machte sich Notizen und verließ das Büro seines Chefs.

„Ich fürchte, ich muss dieses Buch lesen. Vielleicht verbirgt sich darin irgendein Hinweis“, murmelte der Kommissar. Er packte es in seine Tasche und fuhr nach Hause.

 

Am nächsten Morgen betrat er müde und mit geröteten Augen das Büro.

„War die Geschichte so spannend, dass du nicht aufhören konntest zu lesen?“, frotzelte Mertens.

„Hör auf, das ist der größte Mist, den ich je gesehen habe.“

„Also war es vertane Zeit, dir die Nacht damit um die Ohren zu schlagen?“

„Na ja, das kann man so nicht sagen. Wie gesagt, der Roman ist grässlich. Der Sprachstil entspricht dem eines Kindes und die Spannung hält sich in Grenzen.“

„Aber?“

„Im Buch wird beschrieben, dass Zeitreisende uns schon sehr lange besuchen. Sie können dies aus technischen Gründen nur einmal pro Tag und dann auch nur in einer bestimmten Zeitspanne. Angeblich kommen sie aus einer Welt in einhundertzwanzig Jahren. Es sollen Wissenschaftler sein, die Studien in unserer Zeit durchführen.“

„Das wär doch cool. Das würde bedeuten, dass unser Leben für spätere Generationen von Interesse wird.“

„Ich weiß nicht, für mich ist es einfach nur ein schlechter Roman.“ Winterscheidt ließ das Buch auf seinen Schreibtisch fallen.

„Ach, übrigens. Es gab einen weiteren Einbruch.“ Mertens reichte ihm einen Zettel.

„Lass mich raten: wieder eine Buchhandlung und wieder die gleiche Vorgehensweise?“

„Exakt. Ich fahre da gleich mal hin. Willst du mitkommen?“

„Nö, wahrscheinlich erfahren wir da eh nichts Neues. Hast du herausgefunden, in wie vielen Läden diese Bücher noch angeboten werden?“

„Ja, in insgesamt fünf. Bleibt also einer übrig. Rate mal, was da morgen früh stattfinden soll.“

„Eine Lesung von Cameron Müller. Wir sollten diesen Herrn mal zu uns einladen.“

 

Cameron Müller war nur halb so seltsam, wie sich das die beiden Polizeibeamten vorgestellt hatten. Er war um die Vierzig, hatte einen gepflegten Kurzhaarschnitt und machte einen hellen, aufgeweckten Eindruck. Der verflog aber schnell, als er seine Geschichte erzählte.

Winterscheidt rieb sich die Augen und fuhr dann mit beiden Händen durch sein schütteres Haar.

„Okay, ich fasse mal zusammen. Ihr Buch soll also ein Enthüllungsroman sein.“

„Ja, die Welt muss davon erfahren.“

„Warum haben Sie nicht die Polizei oder die Presse informiert? Damit wäre Ihre Information doch auch verbreitet worden.“

„Weil ich dann wahrscheinlich in der Klapse gelandet wäre. Mein Wissen wäre dann verloren gewesen.“

„Ihr Wissen, aha. Sie glauben, dass Außerirdische …“

„Nein, Zeitreisende. Die sind von der Erde, nur aus einer anderen Zeit.“

„Ah ja, Sie glauben also, dass Zeitreisende uns täglich besuchen. Warum tun sie das?“

„Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass es sie gibt.“

„Und woher wissen Sie das?“ Winterscheidt rollte mit den Augen und bereute schon fast, dass er Müller hergebeten hatte. Das war doch alles pure Zeitverschwendung. Da wollte sich ein Spinner wichtigmachen.

„Ich habe gesehen, wie sie aus dem Nichts auftauchten. Das passierte vor etwa einem Jahr. Ich war nachts spazieren und plötzlich standen drei Männer nur wenige Meter vor mir. Sie bemerkten mich nicht und ich hörte, wie sie darüber sprachen, dass sie nur eine Stunde und elf Minuten Zeit hätten. Dann würden sie automatisch zurück in ihre Zeit gezogen werden.“

„Sie gehen nachts spazieren? Warum?“

„Ist doch egal, ich weiß aber noch, dass es genau 01:23 Uhr war.“

„Okay, gehen wir also mal einfach davon aus, dass Sie das nicht geträumt oder erfunden haben. Sie entschlossen sich, Ihre Erlebnisse in einem Buch festzuhalten, und haben zusätzlich eine Geschichte darum gewebt. Das Ergebnis ist dann dieser angeblich authentische Roman.“

 „Warum glauben Sie mir nicht? Wieso sollten diese Typen denn sonst meine Bücher klauen? Sie wollen nicht, dass andere lesen was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Sie wollen nicht, dass die Menschen aus der heutigen Zeit von ihnen erfahren.“

„Deshalb veranstalten Sie also diese Lesungen?“

„Ja, leider verkauft sich mein Buch nicht so gut wie gewünscht. Darum hoffte ich, dass möglichst viele Leute zu den Lesungen kommen. Ich verkaufe dort meine Bücher mit persönlichen Widmungen zu einem vergünstigten Preis. Zumindest war das mein Plan.“

„Der aber durch diese Zeitreisenden zunichtegemacht wurde. Bevor Sie lesen konnten, stahlen die Ihre Bücher.“ Aus Winterscheidts Worten hörte man seine Belustigung über diesen hanebüchenen Unsinn.

„Richtig. Das nenne ich Vernichtung von Beweismitteln.“

„Nun mal langsam. Ihre Geschichte ist bis jetzt nur eine Geschichte, mehr nicht. Und wenn ich ehrlich sein soll, nicht mal eine gute. Wie haben Sie es eigentlich geschafft, damit einen Verlag zu überzeugen?“

„Habe ich nicht. Keiner wollte es haben. Also habe ich alles selber gemacht und die Ausgaben übernommen. Es hat mich mein ganzes Geld gekostet, zumindest eine kleine Auflage zu veröffentlichen. Die Welt muss unbedingt erfahren, dass es diese Zeitreisenden gibt.“

 

Mertens hatte die ganze Zeit nur zugehört. Nachdem Müller das Büro verlassen hatte, saßen sich die beiden Polizeibeamten eine Weile schweigend gegenüber.

„Was für ein Spinner.“ Winterscheidt schüttelte den Kopf. „Hast du eigentlich bei deinem Besuch heute was Neues erfahren?“

„Nein, die gleiche Vorgehensweise wie immer. Vielleicht ist da doch was dran an dieser komischen Geschichte. Das wäre schon ziemlich gruselig.“

„Das werde ich herausfinden. Ich werde die Besucher diese Nacht empfangen. Egal, ob das Zeitreisende, Aliens oder ganz gewöhnliche Verbrecher sind.“

 

Am Abend betrat er die Buchhandlung Handke und bat den Eigentümer darum, die Nacht dort verbringen zu dürfen.

„Da bin ich sogar froh, dass jemand von der Polizei hier ist. Ich habe schließlich auch die Nachrichten verfolgt. Bisher gab es vier Einbrüche und morgen früh soll hier eine Lesung von Herrn Müller stattfinden. Da ist es naheliegend, dass diese Nacht jemand bei mir einbricht.“

„Wie viele haben Sie denn schon von diesem Bestseller verkauft?“

Herr Handke lächelte gequält. „Sie scherzen wohl. Dieser Schmöker ist alles andere als ein Bestseller, eher ein Worstseller. Nicht ein einziges Exemplar konnte ich loswerden. Da müsste ich eigentlich froh sein, wenn die diese Nacht gestohlen werden.“

„Das wird nicht passieren. Ich möchte mich jetzt gerne im gesamten Haus umsehen. Wäre das möglich?“

„Selbstverständlich. Ich zeige Ihnen alles.“

Sie starteten den Rundgang im Eingangsbereich mit der großen zweiflügeligen Schiebetür aus Glas.

„Nach Ladenschluss wird die mit einem Metallgitter geschützt“, erklärte Handke.

„Gibt es einen Notausgang?“

Sie gingen in den hinteren Bereich der Buchhandlung, wo das Lager angrenzte. Hier lagen hunderte Bücher verschiedener Genres in ordentlich beschrifteten Regalen. Zwischen diesen befand sich am Ende des Raums eine Stahltüre.

„Von hier aus kommt man zu einer kleinen Gasse“, erläuterte Handke.

„Diese Tür ist immer verschlossen?“

„Natürlich.“

„Zeigen Sie mir bitte die Kameras und den Raum für die Server mit den Aufzeichnungen?“

In der Buchhandlung waren insgesamt fünf Überwachungskameras installiert. Winterscheidt fiel auf, dass diese an das Stromnetz angeschlossen waren und nicht über Akkus versorgt wurden.

Nach einer Weile kannte sich der Kommissar im Buchladen fast so gut aus wie zu Hause. Der Buchhändler verabschiedete sich, schaltete das Licht aus und verschloss die Eingangstür. Winterscheidt war nun alleine. Er knipste seine Taschenlampe ein und schlenderte noch mal durch alle Räume. Er schaute in jeden Winkel, um sicher zu sein, dass sich niemand versteckt hatte. Zum Schluss seines Kontrollgangs kam er in den Bistrobereich.

Hier war alles für die Lesung am kommenden Morgen vorbereitet. Zehn Stühle standen mit dem Rücken zu einer großen Fensterfront. Die Zuhörer konnten von dort zu einem kleinen Klapptisch mit einem weiteren Stuhl dahinter schauen. Auf dem Tisch lagen zwanzig Exemplare des Buches von Cameron Müller. Rechts und links waren große Werbedisplays mit Fotos vom Autor und von der Titelseite des Buches aufgebaut.

Hinter dem Tisch führte eine offene Treppe in die erste Etage. Winterscheidt stieg hinauf und setzte sich neben ein Geländer. Von hier aus hatte er einen guten Überblick über den gesamten Bereich unter ihm. Er stellte einen stummen Wecker für 0:30 Uhr auf seinem Handy und machte es sich so gut wie möglich bequem.

Er war tatsächlich eingeschlafen und schreckte hoch, als sein Telefon ihn mit einem Summen weckte. Er schüttelte sich, um seinen dummen Traum loszuwerden. Zeitreisende hatten ihn mitgenommen und als mahnendes Exemplar grauer Vorzeiten in ein Museum gestellt.

 

Er blieb still sitzen und horchte, ob irgendein Geräusch zu vernehmen war. Alles war ruhig. Es war stockdunkel und nur die selbstleuchtenden Anzeigen für die Fluchtwege und Notausgänge verströmten ein schwaches, grünliches Licht. Er stand auf und ging vorsichtig die Treppe hinunter. Im Bistro war alles noch so, wie er es einige Stunden vorher verlassen hatte. Hier war es durch die große Fensterfront heller und das Licht einer Straßenlaterne warf diffuse Schatten auf den Boden.

Langsam stieg er wieder in die obere Etage und setzte sich auf seinen Beobachtungsposten. Von hier aus konnte er auch das kleine rote Lämpchen an der Kamera erkennen, die den Raum überwachte. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es noch etwa zehn Minuten bis zum großen Auftritt von wem auch immer dauern würde.

In der Etage unter ihm waren leise Schritte zu hören. Dann öffnete sich irgendwo eine Tür. Zu früh, dachte Winterscheidt. Er schaute auf seine Uhr, um sicherzugehen, dass er den Zeitpunkt nicht verpasst hatte. Es waren noch sieben Minuten, bis die Kamera sich abschalten würde. Er dachte über seinen Gedanken nach. Das würde implizieren, dass diese sich ganz von alleine deaktivieren oder durch den Eintritt der Zeitreisenden ausfallen würde. Warum hörte er dann jetzt schon Geräusche im Gebäude? Er konzentrierte sich auf die Kamera und sah, wie exakt um 01:23 Uhr das Kontrolllämpchen erlosch. Von nun an würde es keine Aufzeichnungen mehr geben. Er zog seine Waffe aus dem Holster und machte sich bereit.

Durch die Lücken zwischen den metallischen Stäben des Geländers sah er, wie eine Gestalt das Bistro betrat. Die Person hatte einen schwarzen Umhang an, der bis zum Boden reichte. Über den Kopf war eine Kapuze gezogen. In der linken Hand hielt sie eine Tasche, in der rechten eine Taschenlampe, die ein schwaches rotes Licht verströmte. Sie ging langsam aber zielstrebig zum Tisch und bemühte sich, dabei besonders leise zu sein. Winterscheidt war sich sicher, dass dies ein Mann war. Frauen bewegten sich anders, nicht so plump wie diese Gestalt unter ihm. Der Einbrecher nahm die Bücher und packte diese in die mitgebrachte Tasche. Dann stellte er die Beute ab, setzte sich an den Tisch und legte die Füße hoch.

Winterscheidt sah sich die Szene eine Weile an. Das Erscheinen von Zeitreisenden hatte er sich anders vorgestellt. Mit einem Lichtblitz oder einem Knall oder irgendwas Aufregendem. Auf jeden Fall nicht mit einem hereinschleichenden Mönch. Er stieg langsam die Treppe hinunter. Als er genau hinter dem vermummten Einbrecher stand, sagte er leise: „Guten Abend, Herr Müller.“

Der Einbrecher blieb wie erstarrt sitzen.

„Sie können die Kapuze jetzt abnehmen.“

Cameron Müller stand langsam auf und drehte sich um. Er überlegte nur kurz, ob er eine Chance zur Flucht hätte, aber die Waffe in der Hand des Polizeibeamten war überdeutlich. Er würde nicht sehr weit kommen.

„Woher wussten Sie, dass ich es bin?“

„Ganz einfach, ich glaube nicht an Zeitreisen. Ich glaube eher an einen schlechten Autor, der sich mit ein paar Einbrüchen und Hilfe der Medien einen Namen machen wollte. Sie sind ein ganz passabler Einbrecher und der Notausgang stellte kein großes Problem dar. Sie haben sich wahrscheinlich schon vor Monaten in sämtlichen Buchhandlungen der Stadt umgesehen und hatten genügend Möglichkeiten, die Zutrittsmöglichkeiten und Kameras zu inspizieren. Erst dann haben Sie für den Verkauf und für die Lesungen die fünf Buchhandlungen ausgewählt, bei denen Sie die Überwachung einfach am Sicherungskasten deaktivieren konnten. Dabei war die Idee sogar besser als Ihr Roman. Fünf mysteriöse Einbrüche und eine passende phantastische Geschichte für die Zeitungen und schon kaufen die Leute Ihr Buch. Wissen Sie, was das Schrägste an dieser Story ist? Wahrscheinlich kaufen jetzt tatsächlich einige Ihren schlechten Schmöker. Abführen!“

Das Licht ging an und Mertens kam in Begleitung von vier weiteren Beamten herein.

„Da hattest du einen guten Riecher, Chef.“

„Ich wollte nur sicher sein, dass es nicht doch irgendwelche seltsamen Zeitwanderer waren. Schade, ich hätte sie gerne begrüßt.“

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Letzte Aktualisierung: Februar 2025

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