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Eine neue Hoffnung

Aktualisiert: 12. Nov. 2024

Das Leben auf der Erde war schon lange nicht mehr lebenswert. Sämtliche fossilen Brennstoffe waren verbraucht. Die Öl- und Gasquellen waren versiegt, die letzte Kohle vor über zehn Jahren gefördert. Unsere Hoffnung, mit erneuerbaren Energien ausreichend Strom zu erzeugen, hatte sich ebenso zerschlagen. Die meisten Windräder waren durch die verheerenden Stürme zerstört worden, die immer öfter und heftiger über unsere Welt zogen. Solarmodule, mit denen man jede freie Fläche bestückt hatte, brachten im trüben Regenwetter nicht genug Leistung.


Auf einem erdähnlichen, erst kürzlich entdeckten Planeten, hoffte man eine Kolonie errichten zu können. Personen mit ausgeprägter mentaler Stärke sollten mit riesigen Raumschiffen zur neuen Siedlung gebracht werden. Die Freiwilligen durchliefen unzählige Testreihen, bis 2.000 Kolonisten als geeignet betrachtet wurden. Ich war dabei!


Es sei absolut sicher, hatten sie uns gesagt. Wir würden in der Kryokammer einschlafen und nach zwölf Jahren auf New Hope wieder aufwachen. Man musste Ressourcen sparen. Keine Unterkünfte. Keine Lebensmittel. Keine Recyclinganlagen. Kein Sauerstoff.


Freudig erregt wachte ich auf. Endlich würden wir unsere neue Heimat betreten. Einen Planeten ohne Luftverschmutzung und Dauerlärm. Langsam begann ich, meine Gliedmaßen zu bewegen. Meine Beine. Meine Zehen. Meine Arme, Hände und Finger. Prima, alles funktionierte einwandfrei. Ich setzte mich auf und erstarrte vor Entsetzen. Mein Gehirn brauchte eine Weile, um zu verstehen, was die Augen sahen. Ich schrie, aber es war kein Laut zu hören. Über die Kante des Tisches, auf dem ich saß, hingen kräftige, klobige Beine – aus Metall. Langsam führte ich die Hände vor mein Gesicht. Metallene Arme! Mit Greifern an deren Ende. Träumte ich? War ich noch in der Kryophase? Ich sah mich um. Tische, soweit man sehen konnte. Auf jedem davon saß ein Roboter mit Kopf, ohne Mund, ohne Nase, ohne Ohren. Zwei optische Linsen ersetzten die Augen. Sah ich auch so aus?


„Guten Morgen!“ Eine künstlich generierte Stimme drang direkt in meinen Kopf. „Es gibt einer Planänderung. Unser Schiff hat deutlich mehr Treibstoff verbraucht als berechnet. Zum Glück konnten wir einen unbewohnten Planeten finden, auf dem die erforderlichen Rohstoffe vorhanden sind. Wir müssen auf diesem Felsplaneten ohne Sauerstoff in einer offenen Mine Erze abbauen, um die weitere Reise zu ermöglichen. Dafür benötigen wir Ihre Hilfe. Um Ihre eigenen Körper zu schonen, wurden Ihre Gehirne in Arbeitsroboter transplantiert. Nach 1.000 Tag-Nacht-Zyklen werden wir den Flug fortsetzen.“


Ich befand mich inmitten eines Albtraumes, aus dem es kein Entrinnen gab. Nachts hängten wir unsere mechanischen Körper zum Aufladen der Batterien in ein Gestell. Eine geplante Auszeit, um zur Ruhe zu kommen. Unsere Gehirne sollen sich erholen, um für den kommenden Tag fit zu sein.


Einige verweigerten die Anordnungen. Die Bestrafung war so einfach wie perfide. Wer nicht arbeitete, bekam keine Energie. Keine geladenen Batterien bedeutete fehlende Sauerstoffversorgung. Das Ergebnis war der Tod. Doch ich wollte leben. Viele Zyklen brauchte ich, bevor ich das erste Mal schlafen konnte. Die erste Nacht ist in meinem Gedächtnis eingebrannt. Der blanke Horror lässt mich innerlich noch heute schaudern. Soweit meine Kameraaugen reichten, sah ich andere wie mich. Tausende, Zehntausende.


Während des Tages, an dem die blasse Sonne den Planeten erhellt, arbeiten wir. Wie viele Stunden das sind? Keine Ahnung. Ich habe mein Zeitgefühl verloren. Unsere künstlichen Hände halten schwere Maschinen, mit denen wir die Erzbrocken aus dem Gestein lösen. Andere Roboter – oh Gott, ich rede schon so, als wären das keine Menschen mehr – bringen diese irgendwohin.


Eine Kommunikation untereinander ist nicht möglich. Bei unseren künstlichen Körpern haben sie auf alle Sinnesorgane verzichtet. Wir sind nicht fähig zu hören, zu riechen oder gar zu sprechen. Nur die Vibrationen, die wir bei der Arbeit mit unseren Geräten erzeugen, spüren wir. Die Anweisungen der Aufseher erhalten wir per direktem Datentransfer.


Ich würde so gerne meine Sorgen mit den anderen teilen, sie fragen, was hier nicht stimmte. Woher kamen all diese künstlichen Körper und die Ladestationen? Waren die bereits mit an Bord? Wofür?


Seit 999 Zyklen schufte ich auf diesem unwirtlichen Planeten. Morgen bekomme ich meinen Körper zurück. Dann muss ich nochmal für 2 Jahre in die Kryokammer, bevor ich New Hope erreiche. Das ist zumindest das Versprechen. Ich bin aufgeregt. Eine letzte Nacht in diesem grässlichen metallenen Monstrum.


Unmittelbar nach dem Wecksignal empfängt mein Gehirn die Botschaft. „Herzlichen Glückwunsch. Sie haben Ihre Zeit auf Rolus VI überstanden und sind jetzt bereit, ihre Reise nach New Hope fortzusetzen. Bitte begeben Sie sich nach der Abkopplung von Ihrer Ladestation zu Sektor GZ-17. Mehrere Shuttles werden Sie dort aufnehmen und zu Ihrem Schiff bringen, wo Ihre Körper auf die Rück-Transplantation der Gehirne warten.“


Aufgeregt löse ich die Halteklammern und gehe los. Ich bin nicht der einzige. Oder die einzige? Welches Geschlecht hat mein richtiger Körper eigentlich? Ich habe es vergessen. Viele hundert Arbeitsroboter begleiten mich auf dem Weg. Sind das alles Leidensgenossen? Waren sie auf dem gleichen Schiff wie ich?


Die künstlichen Körper neben mir sehen verbraucht aus. Verbeult, verkratzt, schmutzig. Einige scheinen Probleme mit der Koordination zu haben, sie schleppen sich mühsam vorwärts. Sehe ich auch so aus? Meine Arme und Beine waren in letzter Zeit immer schwieriger zu kontrollieren. Die Ladekapazitäten der Batterien hatten merklich nachgelassen. Vielleicht ist das der Grund, warum man die Einsatzzeit auf 1.000 Zyklen angelegt hat. Warum haben die uns das angetan?


Meine Aufregung wächst. Scheiß auf diesen mechanischen Körper, bald werde ich meinen eigenen wiederhaben. Endlich wieder hören und sprechen. Endlich wieder riechen. Gibt es auf New Hope Blumen? Ich hoffe es und freue mich wie ein kleines Kind.


Die Shuttles bringen uns in den Orbit. Ich spüre die Vibration, als wir am Schiff andocken. Wir verlassen die Fähren und betreten einen riesigen Raum. Ich sehe Hunderte wie mich, dichtgedrängt in dieser Halle.


Was steht da an dem riesigen Tor? Abfallbeseitigung? Ich spüre die Unruhe der anderen. Das Tor öffnet sich. Dahinter sehe ich das schwarze All. „NEIN!“, will ich schreien, aber dieser Körper hat keinen Mund. Diejenigen, die am nächsten zum Tor stehen, werden herausgedrückt. Ich vermute, man hat den Luftdruck in der Schleuse erhöht. Nichts anderes ist dieser Raum, erkenne ich voller Panik. Ich will mich umdrehen und weglaufen, aber der Druckunterschied zum leeren Raum schiebt auch mich unaufhaltsam zum Tor.


Zusammen mit unzähligen anderen Roboterkörpern treibe ich durch das All. Wie lange hält meine Batterie, um mein Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen? Wird die Heizung versagen und ich schwebe wie ein Eisblock Äonen lang durch das All? Ich weine. Ich bin müde. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Mir wird kalt …

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